Adipositas beginnt im Gehirn

Eine aktuelle Studie hat neue Erkenntnisse über die Rolle des Gehirns als entscheidendes Kontrollzentrum und den Ursprung von Fettleibigkeit und Typ-2-Diabetes geliefert. Das Hormon Insulin spielt eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung von Fettleibigkeit. Die Insulinempfindlichkeit des Gehirns steht im Zusammenhang mit langfristiger Gewichtszunahme und ungesunder Körperfettverteilung. Welche spezifischen Funktionen erfüllt Insulin im Gehirn, und wie wirkt es sich auf Personen mit normalem Gewicht aus?

Das Gehirn spielt eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von Adipositas

Die Zahl der fettleibigen Menschen ist in den letzten Jahrzehnten erheblich gestiegen, was für die Betroffenen, die Gesundheitssysteme und die behandelnden Personen erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringt. Das Hormon Insulin spielt eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Fettleibigkeit. Bis vor kurzem gab es zahlreiche Anzeichen dafür, dass Insulin neurodegenerative und Stoffwechselstörungen verursacht, insbesondere im Gehirn. Eine aktuelle Studie des Universitätsklinikums Tübingen, des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) und des Helmholtz-Zentrums München bietet faszinierende neue Erkenntnisse über die Entstehung von Typ-2-Diabetes und Adipositas sowie über die Funktion des Gehirns als kritisches Kontrollzentrum.

Adipositas ist in Deutschland erst seit 2020 offiziell als Krankheit anerkannt, obwohl seit langem bekannt ist, dass sie eine Reihe von Krankheiten verursacht, darunter Diabetes, Herzinfarkte und sogar Krebs. Die Weltgesundheitsorganisation hat Adipositas bereits zu einer Epidemie erklärt, von der weltweit über eine Milliarde Menschen und allein in Deutschland fast 16 Millionen betroffen sind. Ein Body-Mass-Index von 30 oder mehr gilt als fettleibig, und schlechte Ernährung und unzureichende Bewegung werden häufig als Ursachen für diese chronische Krankheit genannt. Die Mechanismen im Körper, die zu Fettleibigkeit führen und die Krankheit verursachen, sind jedoch komplexer.

Adipositas und die Rolle von Insulin im Gehirn

Eine ungesunde Körperfettverteilung und eine chronische Gewichtszunahme stehen im Zusammenhang mit der Insulinempfindlichkeit des Gehirns. Welche spezifischen Funktionen erfüllt Insulin im Gehirn und wie wirkt es sich auf normalgewichtige Personen aus? In ihrer Studie haben Prof. Dr. Stephanie Kullmann und ihre Kollegen an der Tübinger Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie die Antwort auf diese Frage gefunden. „Unsere Ergebnisse zeigen erstmals, dass bereits der kurzzeitige Verzehr von stark verarbeiteten, ungesunden Lebensmitteln (wie Schokoriegel und Kartoffelchips) eine deutliche Veränderung im Gehirn gesunder Personen hervorruft, die möglicherweise die Ursache für Fettleibigkeit und Typ-2-Diabetes ist“, sagt Studienleiterin Prof. Kullmann. Im gesunden Zustand wirkt Insulin im Gehirn appetithemmend.

Insbesondere bei Menschen mit Adipositas reguliert Insulin das Essverhalten jedoch nicht mehr richtig, was zu einer Insulinresistenz führt. Interessanterweise zeigt das Gehirn bei den gesunden Studienteilnehmern laut Kullmann nach einer kurzfristigen hohen Kalorienzufuhr eine ähnliche Abnahme der Insulinempfindlichkeit wie bei Menschen mit Adipositas. Dieser Effekt kann sogar eine Woche nach der Rückkehr zu einer ausgewogenen Ernährung beobachtet werden. Sie ist außerdem stellvertretende Leiterin der Abteilung für Metabolic Neuroimaging am DZD-Partnerinstitut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen (IDM) des Helmholtz Zentrums München an der Universität Tübingen.

Prof. Dr. Andreas Birkenfeld, Ärztlicher Direktor der Inneren Medizin IV, Direktor des IDM und DZD-Vorstandsmitglied sowie Letztautor der Studie, fasst zusammen: „Wir gehen davon aus, dass sich die Insulinantwort des Gehirns an kurzfristige Ernährungsumstellungen anpasst, bevor es zu einer Gewichtszunahme kommt, und somit die Entwicklung von Adipositas und anderen Folgeerkrankungen begünstigt.“ Er fordert angesichts der aktuellen Erkenntnisse mehr Forschung darüber, wie das Gehirn zur Entstehung von Adipositas und anderen Stoffwechselerkrankungen beiträgt.

Weitreichende Folgen

29 männliche Freiwillige mit durchschnittlichem Gewicht nahmen an der Studie teil und wurden in zwei Gruppen aufgeteilt. Fünf Tage lang musste die erste Gruppe ihre normale Ernährung mit 1500 kcal aus stark verarbeiteten, kalorienreichen Snacks ergänzen. Die zusätzlichen Kalorien wurden von der Kontrollgruppe nicht aufgenommen. Beide Gruppen wurden nach einer ersten Bewertung zwei separaten Untersuchungen unterzogen. Eine Untersuchung wurde unmittelbar nach dem fünftägigen Zeitraum durchgeführt, eine weitere sieben Tage, nachdem die erste Gruppe ihre normale Ernährung wieder aufgenommen hatte.

Die Forscher verwendeten die Magnetresonanztomographie (MRT), um den Fettgehalt der Leber und die Insulinempfindlichkeit des Gehirns zu untersuchen. Nicht nur der Fettgehalt der Leber der ersten Gruppe stieg nach fünf Tagen erhöhter Kalorienzufuhr signifikant an. Überraschenderweise hielt die im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich geringere Insulinempfindlichkeit im Gehirn auch eine Woche nach der Rückkehr zu einer normalen Ernährung an. Dieser Effekt war bisher nur bei übergewichtigen Menschen beobachtet worden.

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